Berlin, 11.09.2001 Patienten
mit chronischen Erkrankungen wie Parkinson und chronischem Schmerz gehören
zu den Stiefkindern des Gesundheitssystems. So wird heute schätzungsweise
nur die Hälfte der rund 250.000 Parkinsonpatienten
angemessen medizinisch versorgt. Weil spezialisierte
Einrichtungen fehlen, sieht es für die 600.000 Patienten mit stärksten
chronischen Schmerzen ebenfalls düster aus: Nur etwa fünf Prozent
erhalten die dann zumeist
erforderlichen starken Schmerzmittel (Opioide) und nur eine Minderheit
wird in Zentren umfassend behandelt.
Für die Patienten kann es
aber noch schlimmer kommen, selbst wenn sie von Spezialisten betreut
werden. Greifen die konventionellen Therapiemöglichkeiten nicht (mehr),
haben sie oft nur noch eine Option: Eine so genannte tiefe
Hirnstimulation mit einem „Hirnschrittmacher“ kann die Symptome von
Parkinsonkranken kontrollieren, Medikamentenpumpen erlösen
Schmerzpatienten von ihren Dauerqualen.
Pro Jahr können Ärzte in
Deutschland derzeit rund 350 Hirnschrittmacher und 900
Medikamentenpumpen implantieren. Doch dies ist nicht ausreichend. 216
Parkinsonkranke und 89 Patienten mit chronischen Schmerzen, die eine
solche Behandlung bräuchten, bekommen sie zur Zeit nicht. Das belegt
eine Erhebung der Deutschen Parkinson Vereinigung und der Deutschen
Schmerzliga. Die Ärzte halten die Therapie zwar für erforderlich, können
sie aber nicht ausführen. Der Grund sind Budgetgrenzen in Kliniken
sowie die Weigerung von Krankenkassen, die Kosten für die Implantate zu
übernehmen. Wie groß darüber hinaus die Zahl jener ist, die von
solchen Behandlungen profitieren könnte, aber keine Chance haben, von
Spezialisten untersucht und beraten zu werden, ist aufgrund der ohnehin
schlechten Versorgungslage beider Patientengruppen derzeit nicht abschätzbar.
Dringenden
Handlungs- und vor allem Einsichtsbedarf sehen darum die
Patientenorganisationen bei Krankenkassen und Politikern: „Patienten
mit chronischen Schmerzen haben ein Recht auf eine angemessene Therapie.
Doch die Krankenkassen verweigern oder verzögern die Kostenübernahme für
die nötige Behandlung, obwohl diese nicht nur Leid lindern, sondern darüber
hinaus die Behandlungskosten langfristig senken kann“, erklärt Dr.
med. Marianne Koch, Präsidentin der Deutschen Schmerzliga.
„Die
Budgetgrenzen für Krankenhäuser müssen aufgehoben werden“,
appelliert Dr. Wolfgang Götz, 1. Vorsitzender der Deutschen Parkinson
Vereinigung, an die Gesundheitspolitiker. Götz, der selbst seit 17
Jahren an Parkinson leidet, weiter: „Man kann nicht am Schreibtisch
festlegen, wie viele dieser Therapien ein Krankenhaus pro Jahr durchführen
darf. Keiner kann im voraus sagen, wie viele Patienten im Laufe eines
Jahres diese Behandlungen benötigen. Es ist menschenunwürdig einem
Kranken aus Budget-Gründen, die einzige noch erfolgversprechende
Therapie zu verweigern. Und ob dies durch die nun anstehenden neuen
Fallkostenpauschalen besser wird, müssen wir abwarten.“
Teure
Therapie lindert Leid und spart langfristig Kosten. Die
Therapien sind in der Tat zu Beginn relativ teuer. Eine
Medikamentenpumpe kostet – je nach Ausstattung – zwischen 10.000 und
20.000 Mark. Die Systeme zur tiefen Hirnstimulation kosten – abhängig
von den medizinischen Erfordernissen – zwischen 15.000 und 30.000
Mark. Doch sie lindern das Leid schwerstkranker Menschen und sparen
langfristig sogar Kosten ein: etwa für wiederholte Klinikaufenthalte
und Medikamente, die aufgrund der erforderlichen Mengen zwar
Nebenwirkungen aber kaum noch lindernde Wirkung haben.
Dies belegt beispielsweise
eine Untersuchung an der Universität Freiburg. Dort haben Ärzte
die Behandlungskosten von 40 Schmerzpatienten ausgewertet, die eine voll
implantierbare Medikamentenpumpe erhalten hatten. Resultat: Über einen
Zeitraum von vier Jahren sanken die jährlichen Kosten für die ärztliche
Behandlung pro Patient um 81 Prozent, die Medikamentenkosten sogar um 86
Prozent. Insgesamt konnten die Ärzte jährlich über 13.000 Mark pro
Patient an Behandlungskosten einsparen. Die Kosteneinsparung für alle
40 Patienten betrug im Zeitraum von vier Jahren nach der Implantation
2,2 Millionen DM.
Hinzu kommt, dass die Patienten beträchtlich
an Lebensqualität gewinnen, wie die Untersuchung darüber hinaus
belegt: Bei der Hälfte der Patienten verschwanden die Nebenwirkungen
der Medikamente vollständig und 37,5 Prozent hatten nur noch leichte
Nebenwirkungen. Nur 15 Prozent hatten auch weiterhin mit stärkeren
Nebenwirkungen zu kämpfen. Viele Patienten konnten darüber hinaus
wieder ins Berufsleben zurückkehren, wodurch auch die
volkswirtschaftlichen Kosten der Erkrankung sanken.
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